
Wir leben auf der Schwäbischen Alb, einem Mittelgebirge im Süden Deutschlands.
Das Haus liegt am Waldrand, Natur pur. Vielfältige Blumenarten, alles blüht und strahlt, seltene Orchideen, Rehe, Hasen - alles um und am Haus.
Der Winter sieht anders aus: karg, herb und windig. Passende Bekleidung und gute Laune helfen die dunklen Monate zu akzeptieren. Wie eine Hybris hängt die Dunkelheit über mir. Die kurzen Tage dauern von 8.00 bis 16.00 Uhr - meine Lebenszeit scheint mir geraubt. Oft habe ich von Menschen gehört, die im Süden Spaniens überwintern. Das wollte ich auch einmal erleben.
Wir starteten im Dezember und kamen Anfang Februar zurück.
Wir reisten mit dem Wohnmobil mit zwei Hunden: Miel 12 Jahre alt, eine Bardena Hündin und Lotte 4 bis 5 Jahre alt, eine Schnauzerhündin.
Bei Almeria blieben wir 3 Wochen an einem Platz. Das fiel uns nicht leicht, zumal die täglichen Hundespaziergänge naturgemäß am Meer stets ähnlich waren - bis zu jenem Tag:
Am Morgen kam uns Lotte mit einer unendlich langen Schnur, die aus ihrem Maul hing, entgegen. Sie hatte einen Angelhaken verschluckt. Der dortige Tierarzt lieferte professionelle routinierte Arbeit; oft muss er diese OP machen, oft sogar zweimal am Tag.
Zum Glück ging alles gut und wir machten uns auf nach Norden Richtung Heimat. Wir hatten geplant unsere Freunde Barbara und Carlos (TINI) auf Ibiza zu besuchen.
Davon wollten wir keineswegs abweichen. Allerdings wäre für unsere frisch operierte Lotte die Eingliederung bei Barbaras Hunden zu risikoreich gewesen und so entschlossen wir uns, dass ich alleine die Fähre bestieg und Harald mit Miel und Lotto im Wohnmobil in Denia zurück blieben.
Ich war schon Jahre zuvor oft bei TINI gewesen, hatte Flugpatenschaften für Hunde gemacht und kannte mich so aus. Barbaras Hundegruppe hatte sich etwas verändert. Die Anzahl war etwas geringer geworden - dafür umso pflegeintensiver. Barbara hatte mindestens acht alte, schwerkranke Hunde aufgenommen, die hier ihre letzte Zeit in Frieden verbringen durften.
Barbara Originalton: „Wenn nicht wir das tun- wer dann?“
Gleich zu Beginn fiel mir ein großer Schäferhund auf, der alle überragte.
Er war s, konnte schlecht gehen, hatte wegen einer Krebsgeschwulst einen etwas entstellten Kopf, sein Körperbau war eher grobknochig, keine Schönheit aber ein Hund der Präsenz ausstrahlte: Taranto.
Ich würde sofort vorgewarnt, ihn nicht aus er Hand zu füttern und das befolgte ich sofort, als ich sah, wie er nach einem Leckerli schnappte. Seine beiden Kieferhälften klappten mit einem nicht zu überhörenden Klappen so energisch zusammen, dass ein furchterregendes Geräusch entstand.
Der alte Herr hatte mit einer ebenso alten Pointerdame mehr als zehn Jahre auf einem Lastwagen Stellplatz allein gelebt. Sie kannten keine menschliche Fürsorge, beide waren auf sich allein gestellt.
Nun war die Platz aufgegeben worden, die Hunde mussten weg. Wer aber nimmt zwei große, uralte, kranke Hunde?
Wohin?
Die Pointerhündin sabberte, weil sie unter einem tief sitzenden Lefzenekzem litt, Taranto hatte nicht nur Arthrose, sondern war auch organisch überall krank.…und TINI nahm die beiden auf, zwei Hunde mit denen keine Staat mehr zu machen war.
Ich sah Taranto in die Augen und sah wie sehr er bei TINI sein Herz geöffnet hatte und wie wenig er Herr seines Körpers war. Seit ganz kurzer Zeit, kannte er eine Couch, verlässliche Fütterung, Ruhe, Sicherheit, aber er kannte keine Regel um sich gut zu benehmen.
Das Schönste waren die Leckerli und da er so danach schnappte, nannte ich ihn liebevoll „mein Krokodil“. Ich wusste, dass es in Märchen und Kinderbüchern liebe Krokodile gab, wie Elvis, Olli oder Lars. Ich erinnerte mich an die wundervolle Geschichte von Roald Dahl „Das riesengroße Krokodil“.
Ich versuchte mit ihm alle ein bis zwei Stunden ins Freie zugehen und ganz schnell verstand er, dass dies kein Ausflug war, sondern die Information im Freien und nicht im Haus zu pinkeln. Wenn er mich ansah, hatte ich irgendwie das Gefühl als gäbe es ein „wir“ und „uns“….
Ich kann es nicht beschreiben, was mich an diesem alten Taranto so tief ins Herz traf. Vielleicht war es die Diskrepanz zwischen dem, wie er das neue Leben genoss und andererseits seiner Unzulänglichkeit sich entsprechend anzupassen.
Ich überlegte, ob ich ihn nicht mitnehmen könnte - aber er war zu alt, zu krank. Eine Veränderung hätte ihm das geliebte Zuhause genommen und er hätte die Reise nicht durchgestanden.
So ging ich und es war der Abschied wie von einer unerfüllten Liebe.
Gleichzeitig wusste ich, dass Barbara und Sonja alles Machbare tun würden, um ihm noch eine kurze schöne Zeit zu schenken.
Seit gestern ist „mein Krokodil“ tot.
Es ging nicht mehr - gar nicht mehr. Er konnte nicht mehr stehen. Sonja hatte ausgemacht, dass er im Liegen eingeschläfert werden sollte.
Ein Tierarzt - Stellvertreter in der Praxis - bestand letztlich darauf, dass der ursprüngliche Besitzer seine Zusage zum Einschläfern gehen musste.
Ich fragte mich und frage mich immer noch, wie dieser Mensch in der Praxis in diesen Momenten seinem früheren Hund in die Augen sehen konnte?
Taranto beachtet ihn nicht - er war nicht mehr „sein“ Hund.
Taranto hat bei Barbara, Sonja und Carlos die Liebe erlebt, er hätte sicher, wenn er länger gelebt hätte, viel deutlicher noch Liebe zurückgegeben.
Er spürte vielleicht, wie Barbara jeden Morgen einen riesigen Urinsee weg machen musste, immer in dem Gedanken ihm vielleicht noch einen weiteren schönen Tag zu schenken. Ich bin überzeugt, dass Taranto Barbaras tägliche Kraft, Mühe und Überwindung für ihn sah.
Vielleicht spürte er auch, wie ich täglich in Gedanken bei ihm war, wie ich lernen musste das Unabänderliche zu akzeptieren.
Jetzt ist er oben - ganz oben angekommen…ein alter, kranker Hund, der in seiner letzten Zeit die Liebe erlebt hatte und zum Vorbild für Tierschutz durch großherzige Menschen wird - und so in meinem Herzen bleibt.